„Medien“ – Verlagsgebäude Ostsee-Zeitung
Die Stele „Medien“ befindet sich vor dem Redaktionsgebäude der Ostsee-Zeitung und soll an die Verantwortung der Medien während der rassistischen Angriffe in Rostock-Lichtenhagen 1992 erinnern. Die Wörter auf der Oberseite der Stele lassen sich bewegen und so zu unterschiedlichen Schlagzeilen anordnen.
Lokalzeitungen wurden ihrer Aufgabe, die Bürger*innen differenziert und ausgewogen über die Situation um die Erstaufnahmestelle für Geflüchtete in Lichtenhagen zu informieren, oftmals nicht gerecht. Sie berichteten zum Teil einseitig und gaben rassistische Vorurteile wieder.
Einen Ausgangspunkt für das Pogrom im August 1992 bildeten in den Tageszeitungen abgedruckte Ankündigungen. In diesen wurde anonym dazu aufgerufen, sich am 22. August 1992 vor dem Sonnenblumenhaus zu versammeln und gewaltsam gegen Geflüchtete vorzugehen.
Die tagelangen rassistischen Übergriffe wurden zum internationalen Medienereignis. Medienvertreter*innen aus der ganzen Welt berichteten aus Rostock, Fernsehkameras übertrugen die Ereignisse live. Die Art der Berichterstattung trug zur gewaltvollen Dynamik bei.
Berichterstattung im Vorfeld des Pogroms
Die Lokalzeitungen berichteten seit 1991 über die Situation bei der Zentralen Aufnahmestelle (ZASt) für Asylsuchende in Rostock-Lichtenhagen. In dieser Berichterstattung wurden antiziganistische und rassistische Vorurteile aus der Bevölkerung und von Politiker*innen kommentarlos wiedergegeben und nicht hinterfragt. Statt aufzuklären und einzuordnen wurde in einigen Artikeln ein Bild verbreitet, dass suggerierte, dass die Geflüchteten selbst schuld an ihrer Situation seien.
In einer Rede zum 25. Jahrestag des Pogroms kritisierte Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, die antiziganistische Berichterstattung über die vor der ZASt ausharrenden Asylsuchenden:
„Am Beispiel der damaligen Vorgänge in Rostock-Lichtenhagen werden die Mechanismen der Vorurteilsbildung sehr deutlich: Zuerst werden die Hilfe suchenden Roma vor der Zentralen Aufnahmestelle tage- und wochenlang sich selbst überlassen. Dann wird diese – von der Politik und Verwaltung zu verantwortende – unhaltbare Situation einer angeblichen „Roma-Kultur“ oder „traditionellen Lebensweise“ zugeschrieben und damit in zynischer Weise gerechtfertigt.“
Romani Rose: „Das Rostocker Pogrom ist nicht vergessen. Es verpflichtet zu demokratischem Handeln heute!“. Rede anlässlich der Gedenkkundgebung 25 Jahre Rostock-Lichtenhagen, 2017.
Doris Deutsch, 1992 Redakteurin der Ostsee-Zeitung, reflektiert 2017 über Fehler in der Berichterstattung. Sie erzählt, dass die Medien zu wenig Druck auf die Politik ausübten und sich nicht klar genug auf der Seite der Geflüchteten und Anwohner*innen positionierten:
Aufruf zur Gewalt in den Medien
In der Woche vor dem Pogrom veröffentlichten Rostocker Lokalzeitungen mehrere Artikel, in denen durch eine selbsternannte Bürger*inneninitiative dazu aufgerufen wurde, sich am 22. August vor dem Sonnenblumenhaus zu versammeln. In den Berichten wurden gewalttätige Übergriffe angekündigt.
Dem Aufruf folgten am 22. August 1992 mehr als tausend Menschen. Aus der in der Zeitung angekündigten Versammlung entstand das mehrtägige Pogrom.
Wolfgang Richter, damaliger Ausländerbeauftragter, riet den Journalist*innen davon ab, die Ankündigung zu veröffentlichen. Im Video erklärt er 2012 seine Einschätzung, dass die Artikel als Aufruf verstanden würden und die Situation sich dann weiter zuspitzen würde:
Berichterstattung während des Pogroms
Zahlreiche Sender übertrugen die rassistischen Angriffe ab Sonntag live im Fernsehen. Diese Berichterstattung bestärkte die Gewalttätigen zusätzlich. An diese Wirkung erinnert sich Michael Schmidt, der 1992 als Redakteur beim Nordmagazin arbeitete:
Die Bilder der Ereignisse gingen um die Welt. Zahlreiche internationale Medien berichteten über das Pogrom. Viele sahen die Befürchtung bestätigt, dass eine deutsche Einheit mit Nationalismus und Gewalt einhergehen würde, und stellten Verbindungen zur nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands her.
Berichterstattung nach dem Pogrom
Nach dem Pogrom wurde die rassistische Gewalt in der lokalen Berichterstattung häufig als „Krawall“ verharmlost und die politische Motivation der Täter*innen oft verschwiegen. Den Geflüchteten, die Ziel der Angriffe waren, wurde die Schuld an der Gewalt gegeben. Durch ihr Verhalten hätten sie die Angriffe ausgelöst. Neben dieser Täter-Opfer-Umkehr fanden sich auch häufig antiziganistische Stereotype in den unmittelbar nach dem Pogrom erschienenen Artikeln.
Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass bis heute die betroffenen Geflüchteten des Pogroms in den Medien kaum eine Stimme haben. Auch die betroffenen Vietnames*innen kommen häufig nur am Rande vor. Statt Mitgefühl mit den Betroffenen zu zeigen, stand in vielen Artikeln die Sorge im Vordergrund, das Pogrom könnte negative Auswirkungen auf das Image der Stadt Rostock haben.
Anlässlich der Einweihung der Gedenkstele 2017 fragt der Redakteur der Ostsee-Zeitung Jan-Peter Schröder, was aus der Berichterstattung während des Pogroms 1992 für die heutige journalistische Arbeit gelernt werden kann. Er betont, dass auch heutige Journalist*innen ihre Wortwahl und Themensetzung genau bedenken müssten.
Gestaltung der Stele „Medien“
Das Künstler*innenkollektiv SCHAUM erklärt im Interview die Gestaltung der Stele, die an die Verantwortung der Medien erinnern soll. In einem Schiebespiel können häufig in der Berichterstattung genutzte Begriffe bewegt und so in unterschiedliche Kontexte gesetzt werden.