Ü1 Test Station
Die Stele „Selbstjustiz“ vor dem sogenannten Sonnenblumenhaus erinnert an die rassistischen Brandanschläge vom August 1992, die an diesem Ort stattfanden. Sie gelten als die bis dahin massivsten rassistischen Ausschreitungen der deutschen Nachkriegsgeschichte. Vom 22. bis 24. August 1992 griffen mehrere hundert Gewalttäter*innen unter dem Applaus von bis zu 3000 Zuschauer*innen die Erstaufnahmestelle für Geflüchtete in der Mecklenburger Allee Nr. 19 und ein Wohnheim von Vietnames*innen in der Mecklenburger Alle Nr. 18 mit Steinen und Brandsätzen an. Der Polizei gelang es über drei Tage nicht, die Gewalttätigkeiten zu unterbinden und die Angegriffenen zu schützen. Nachdem am dritten Tag die Geflüchtetenunterkunft evakuiert wurde, zog sich die Polizei für mehr als eine Stunde vollständig vom Schutz des Wohnheims der Vietnames*innen zurück. In dieser […]
Die Stele „Selbstjustiz“ vor dem sogenannten Sonnenblumenhaus erinnert an die rassistischen Brandanschläge vom August 1992, die an diesem Ort stattfanden. Sie gelten als die bis dahin massivsten rassistischen Ausschreitungen der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Vom 22. bis 24. August 1992 griffen mehrere hundert Gewalttäter*innen unter dem Applaus von bis zu 3000 Zuschauer*innen die Erstaufnahmestelle für Geflüchtete in der Mecklenburger Allee Nr. 19 und ein Wohnheim von Vietnames*innen in der Mecklenburger Alle Nr. 18 mit Steinen und Brandsätzen an. Der Polizei gelang es über drei Tage nicht, die Gewalttätigkeiten zu unterbinden und die Angegriffenen zu schützen.
Nachdem am dritten Tag die Geflüchtetenunterkunft evakuiert wurde, zog sich die Polizei für mehr als eine Stunde vollständig vom Schutz des Wohnheims der Vietnames*innen zurück. In dieser Zeit setzten die rassistischen Gewalttäter*innen das Wohnheim, in dem sich mehr als 120 Menschen aufhielten, in Brand. Ohne Polizeischutz konnte die Feuerwehr nicht löschen.
Die vietnamesischen Bewohner*innen, ihre Unterstützer*innen, die Mitarbeitenden der Unterkunft und ein ZDF Kamerateam, die sich im Gebäude befanden, mussten sich selbst retten. Sie brachen eine Zwischentür auf und flohen über das Dach in den Aufgang der Mecklenburger Allee 15.
Nur durch Zufall wurde während des tagelangen Pogroms niemand lebensgefährlich verletzt.
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Mehr erfahren:
Ü 2 .1. – Berichterstattung im Vorfeld des Pogroms
Ü 2 .2. – Berichterstattung
Ü 2.3. Gestaltung der Stele „Medien“
Ü 2.4. Gedenken an Mehmet Turgut
Ü 2.5. JAZ
Ü 2.6. Antifaschistischer Protest während des Pogroms
Ü 2 .1. – Berichterstattung im Vorfeld des Pogroms
Die Lokalzeitungen berichteten seit 1991 über die Situation bei der Zentralen Aufnahmestelle (ZASt) für Asylsuchende in Lichtenhagen.
Die Berichterstattung der lokalen Medien trug wenig dazu bei die angespannte Situation in Lichtenhagen zu deeskalieren. Antiziganistische und rassistische Vorurteile aus der Bevölkerung und von Politiker*innen wurden kommentarlos wiedergegeben und nicht hinterfragt. Statt aufzuklären und einzuordnen, wurde in einigen Artikeln ein Bild verbreitet, wonach die Geflüchteten selbst Schuld an ihrer Situation seien.
Doris Deutsch, 1992 Redakteurin der Ostsee-Zeitung, über Fehler in der Berichterstattung:
„Wir hätten auch uns vielmehr auf die Seite sowohl der betroffenen Asylbewerber als auch auf die Seite der Einwohner stellen müssen und z.B. fragen müssen: Warum gibt es keine Dixie Toiletten die da hingestellt werden? Warum werden die Leute nicht mit Getränken und mit Esswaren versorgt? Ja, dann müssen sie klauen gehen, was natürlich dann wieder für Beunruhigung in der Bevölkerung sorgt. (…) Und da find ich, hätten wir Medien, tatsächlich stärker die Verantwortlichen herausfordern müssen.“
Doris Deutsch, 1992 Redakteurin der OZ
Die Berichterstattung der lokalen Medien trug wenig dazu bei die angespannte Situation in Lichtenhagen zu deeskalieren. Antiziganistische und rassistische Vorurteile aus der Bevölkerung und von Politiker*innen wurden kommentarlos wiedergegeben und nicht hinterfragt. Statt aufzuklären und einzuordnen, wurde in einigen Artikeln ein Bild verbreitet, wonach die Geflüchteten selbst Schuld an ihrer Situation seien.
Ü 2 .2. – Berichterstattung
In der Woche vor dem Pogrom veröffentlichten Rostocker Lokalzeitungen mehrere Artikel, in denen durch eine selbsternannte Bürgerinitiative dazu aufgerufen wurde, sich am 22. August vor dem Sonnenblumenhaus zu versammeln. In den Berichten wurden gewalttätige Übergriffe angekündigt.
Dem Aufruf folgten am 22. August 1992 mehrere hundert Menschen. Aus der in der Zeitung angekündigten Versammlung entstand das mehrtägige Pogrom.
Warum er der Lokalzeitung Norddeutsche Neueste Nachrichten davon abriet, die Ankündigungen zu drucken, erklärt Wolfgang Richter, damaliger Ausländerbeauftragter, 2012 im Interview:
Warum er der Lokalzeitung Norddeutsche Neueste Nachrichten davon abriet, die Ankündigungen zu drucken, erklärt Wolfgang Richter, damaliger Ausländerbeauftragter, 2012 im Interview:
Ü 2.3. Gestaltung der Stele „Medien“
Wie mit einem Schiebespiel an die Verantwortung der Medien während des Pogroms erinnert werden soll, erklärt das Künstlerkollektiv SCHAUM im Interview:
Anlässlich der Einweihung der Stele 2017 fragt sich Ostsee-Zeitungsredakteur Jan-Peter Schröder, was aus der Berichterstattung während des Pogroms für die heutige journalistische Arbeit gelernt werden kann:
„Für uns als Journalisten stellt sich natürlich die Frage: Wie gehen wir damit um? Wie sind wir damals in der Berichterstattung damit umgegangen, wie geht man heute damit um? Die Zeiten haben sich zwar geändert, aber die Probleme sind nicht sehr viel anders geworden, wie man jetzt an der Flüchtlingskrise gesehen hat. Und als Journalisten müssen wir uns dann immer wieder die Frage stellen: Was machen wir eigentlich? Welche Worte wählen wir? Wo setzen wir den Fokus? Welche Hintergründe betonen wir? Welche Stimmen stellen wir in den Vordergrund? Welche dürfen wir nicht ausblenden? Welche Sprache wählen wir? Diese ganzen Dinge sind immer sehr wichtig, und ich seh jetzt diese Erinnerungswoche, die jetzt in Rostock stattfindet und wo wir jetzt ein Teil davon sind, durchaus als Chance an, für uns als Journalisten der Ostsee-Zeitung darüber nochmal nachzudenken, darüber zu diskutieren, auch nochmal neu die Frage zu stellen: Was können wir daraus lernen? Weil aus der Sicht von heute sich nochmal neue Antworten daraus ergeben.“
Jan-Peter Schröder, OZ Redakteur
Ü 2.4. Gedenken an Mehmet Turgut
Zivilgesellschaftliche Initiativen erinnern seit der Selbstenttarnung des NSU im November 2011 mit Gedenkveranstaltungen an Mehmet Turgut.
Zum zehnten Todestag von Mehmet Turgut wurde 2014 durch die Stadt ein Denkmal eingeweiht. Es besteht aus zwei Betonbänken, die sich versetzt gegenüberstehen und zu einer Begegnung einladen sollen. Zum Todeszeitpunkt von Mehmet Turgut am 25. Februar zwischen 10.10 und 10.20 Uhr scheint die Sonne zwischen den Bänken hindurch. Auf den Bänken sind Inschriften in deutscher und türkischer Sprach angebracht.
Die Forderung der Familie von Mehmet Turgut, die Straße am Tatort nach Mehmet Turgut umzubenennen wurde bis heute nicht umgesetzt. Zivilgesellschaftliche Initiativen erinnern immer wieder mit symbolischen Straßenumbenennungen an Mehmet Turgut.
Ü 2.5. JAZ
An dieser Stelle befand seit 1991 das Jugendalternativzentrum (JAZ). Von hier aus wurden 1992 Proteste gegen das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen organisiert, woran die Stele „Gesellschaft“ erinnert.
Das JAZ war eines der frühen Zentren der Rostocker Zivilgesellschaft. Hier trafen sich Jugendliche unterschiedlicher Subkulturen und verschiedene Vereine.
Jugendliche aus dem JAZ versuchten als einzige, mit einem Gegenprotest während des Pogroms in Lichtenhagen zu intervenieren. Mit 200 Menschen gingen sie am zweiten Abend der rassistischen Brandanschläge in Lichtenhagen auf die Straße, um sich mit den angegriffenen Flüchtlingen und Vietnames*innen zu solidarisieren.
Nach den rassistischen Angriffen kam es in Rostock und bundesweit zu Demonstrationen und Kundgebungen gegen rechte Gewalt. 20.000 Menschen demonstrierten ein Wochenende nach den Ereignissen in Lichtenhagen unter dem Motto „Stoppt die Pogrome“.
In Rostock gründeten sich in Folge des Pogroms antifaschistische Bündnisse und Initiativen. Das JAZ ist bis heute ein selbstverwaltetes Jugendzentrum und befindet sich jetzt in der Lindenstraße.
Ü 2.6. Antifaschistischer Protest während des Pogroms
Ute und Sandra, 1992 17 und 19 Jahre alt, erzählen über das Jugendalternativzentrum (JAZ) und wie sie die Bedrohung durch rechte Gewalt Anfang der 1990er Jahre in Rostock erlebten:
Sie schildern ihre Überforderung angesichts der gewaltvollen Dynamik in Lichtenhagen und wie sie versuchten, vom JAZ aus Gegenproteste zu organisieren:
Ute und Sandra schildern ihre Eindrücke von der Demonstration:
Ü 2.7. Folgen für Politiker*innen
Jugendliche aus dem JAZ versuchten als einzige, mit einem Gegenprotest während des Pogroms in Lichtenhagen zu intervenieren. Mit 200 Menschen gingen sie am zweiten Abend der rassistischen Brandanschläge in Lichtenhagen auf die Straße, um sich mit den angegriffenen Flüchtlingen und Vietnames*innen zu solidarisieren.