Station „Staatsgewalt“ Polizeidirektion Ulmenstraße
Die Stele „Staatsgewalt“ vor der Rostocker Polizeidirektion erinnert daran, dass die Polizei während des Pogroms in Rostock-Lichtenhagen 1992 ihrer Aufgabe, die Würde und Unversehrtheit aller Menschen zu schützen, in vielfacher Hinsicht nicht nachkam. Die Polizei schätzte die Dynamik rassistischer Gewalt und die daraus resultierende Bedrohungslage für die migrantischen Bewohner*innen im Sonnenblumenhaus von Beginn an völlig falsch ein. Sie nahm die öffentliche Gewaltandrohungen im Vorfeld nicht ernst und ihr Einsatz führte nicht dazu, die tagelange Eskalation der rassistischen Gewalt zu beenden. Durch ihren vollständigen Rückzug am dritten Tag des Pogroms waren 120 Menschen im Wohnheim der Vietnams*innen eine Stunde ungeschützt den rassistischen Gewalttäter*innen ausgesetzt, die das Haus in Brand steckten. Die Angegriffenen mussten sich selbst retten und konnten über das Dach […]
Die Stele „Staatsgewalt“ vor der Rostocker Polizeidirektion erinnert daran, dass die Polizei während des Pogroms in Rostock-Lichtenhagen 1992 ihrer Aufgabe, die Würde und Unversehrtheit aller Menschen zu schützen, in vielfacher Hinsicht nicht nachkam.
Die Polizei schätzte die Dynamik rassistischer Gewalt und die daraus resultierende Bedrohungslage für die migrantischen Bewohner*innen im Sonnenblumenhaus von Beginn an völlig falsch ein. Sie nahm die öffentliche Gewaltandrohungen im Vorfeld nicht ernst und ihr Einsatz führte nicht dazu, die tagelange Eskalation der rassistischen Gewalt zu beenden.
Durch ihren vollständigen Rückzug am dritten Tag des Pogroms waren 120 Menschen im Wohnheim der Vietnams*innen eine Stunde ungeschützt den rassistischen Gewalttäter*innen ausgesetzt, die das Haus in Brand steckten. Die Angegriffenen mussten sich selbst retten und konnten über das Dach fliehen.
Auf die Frage, warum die Polizei die angegriffenen Asylsuchenden und Vietnames*innen nicht ausreichend schützte, gibt es viele Erklärungsansätze. Sie reichen vom Unwillen bis zur Unfähigkeit der verantwortlichen Polizeiführer. Der Untersuchungsausschuss des Landtages hielt fest, dass leitende Beamte ihrer Verantwortung nicht nachkamen, Kommunikations- und Informationsketten nicht funktionierten, die Einsatzkonzeption mangelhaft und die eingesetzten Polizist*innen unzureichend ausgebildet und ausgerüstet waren. 204 Polizeibeamte wurden während des Einsatzes verletzt.
Mehr erfahren:
- zum Verhalten der Polizei während des Pogroms
- zu den Konsequenzen für die Polizei
- zur Gestaltung der Stele
Verhalten der Polizei
“ Der Ausschuss hat festgestellt, dass bei der Führung des Polizeieinsatzes gegen grundlegende Prinzipien polizeilicher Einsatzführung verstoßen wurde. Dieser Fehler führte zur Gefährdung der Gesundheit von Menschen (…).“
aus: Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses Landtag MV, S.22.
Wie sich der Polizeieinsatz aus Sicht der angegriffenen Menschen im Sonnenblumenhaus gestaltete, berichten vietnamesische Bewohner*innen und ihre Unterstützer*innen in der Dokumentation „The truth lies in Rostock“:
Während die Erstaufnahmestelle für Geflüchtete (ZASt) am dritten Tag der Pogrome evakuiert worden war, hielten sich im Wohnheim der vietnamesichen Vertragsarbeiter*innen am Montagabend noch 120 Menschen auf. Dennoch zog die Polizei ihre Einsatzkräfte für mehr als eine Stunde vollständig vom Sonnenblumenhaus ab.
Was ihn dazu bewog, erklärte der Einsatzleiter Jürgen Deckert vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags:
„So konnte der Einsatz einfach nicht weiterlaufen (…). Es musste umstrukturiert werden, (…) um mit dem vorhandenen Personal einen einigermaßen effektiven Einsatz fahren zu können. Es hatte in der Phase von 20.00 bis 21.15 Uhr insgesamt 34 verletzte Beamtinnen und Beamte gegeben (…). Die Wasserwerfer waren ausgefallen. (…) Zudem eine Rechtsgüterabwägung zum einen ein leeres Objekt, die ZAST mit einer kaum noch vorhandenen Gefährdung, die Angriffe richteten sich eindeutig gegen die Polizei und nicht gegen die ZAST (…). Auf der anderen Seite Leib, Leben und Gesundheit der eingesetzten Beamten.“
POR Deckert, Zwischenbericht Untersuchungsausschuss Landtag MV, S. 62.
Nach dem Rückzug der Polizei setzten Gewalttäter*innen das Wohnheim der Vietnames*innen in Brand. Die Feuerwehr konnte nicht löschen, bis die Polizei nach etwa einer Stunde zum Sonnenblumenhaus zurückkehrte. Den im brennenden Haus eingeschlossenen Menschen gelang es, über das Dach zu fliehen.
Die Fehleinschätzung zur Dynamik rassistischer Gewalt zog sich von Beginn an durch den gesamten Polizeieinsatz. So erklärte Einsatzleiter Jürgen Deckert vor dem Untersuchungsausschuss:
„[D]ie Vietnamesen (…) waren für die Polizeidirektion Rostock keine Themenstellung, das heißt, es wurde für die Vietnamesen keine Gefährdung gesehen. Wenn andere Leute das anders sehen, dann ist das deren Beurteilung. Für die Polizeidirektion Rostock kann ich sagen, eine Gefährdung der Vietnamesen wurde nicht gesehen.“
POR Deckert, Zwischenbericht Untersuchungsausschuss Landtag MV, S. 70.
Konsequenzen aus Lichtenhagen
Für die leitenden Beamten auf Landes- und kommunaler Ebene hatte ihr Verhalten keine strafrechtlichen Konsequenzen. Ein Strafverfahren wegen fahrlässiger Brandstiftung gegen Siegfried Kordus, den verantwortlichen Polizeichef von Rostock, wurde 1994 eingestellt. Er trat einige Tage nach dem Pogrom wie geplant seine Stelle als Leiter des Landeskriminalamtes an.
Sein Stellvertreter und Einsatzleiter vor Ort, Jürgen Deckert, der den Einsatz über 60 Stunden allein leiten musste, wurde an die Polizeihochschule in Güstrow versetzt. Ein Strafverfahren gegen ihn wurde im Jahr 2000 eingestellt.
Thomas Laum berichtet, was sich aus Sicht der Rostocker Polizei seit 1992 verändert hat. Herr Laum leitete die Kriminalpolizeiinspektion Rostock von 1991 bis 1997 und war für die strafrechtliche Verfolgung der Gewalttäter*innen von Lichtenhagen zuständig:
Gestaltung der Stele Staatsgewalt
Die Aufgaben der Polizei sind im Sicherheits- und Ordnungsgesetz festgeschrieben. Ein Auszug daraus ist in die Stele eingraviert. Warum die Stele schief steht, erklärt das Künstler*innenkollektiv Schaum im Interview: